In ihren schwebenden Bildern interpretiert Gabriele Goehlen den Sonettenkranz Das Schmetterlingstal der dänischen Lyrikerin und Schriftstellerin Inger Christensen.
Die geheimnisvolle Metamorphose der hässlichen Raupe zum prachtvollen Schmetterling regt die Phantasie des Menschen ebenso sehr an wie die flüchtige Schönheit und fast unkörperliche Erscheinung der Falter. „Herr der Geschöpfe“ heißt der Schmetterling bei den Bengalen, „Glänzendes Insekt Gottes“ bei den Khmer im heutigen Kambodscha und „Gottesgeschöpf“ nennen ihn die Iren.
Die Koblenzer Malerin Gabriele Goehlen interpretiert das lyrische Meisterwerk der dänischen Dichterin Inger Christensen
In der 5. Kunstveranstaltung innerhalb des Jahresthemas “Gott, wo bist du?“ 2012 der Galerie Krüger nimmt Gabriele Goehlen Bezug auf die fünfzehn Sonette der zeitgenössischen, bedeutenden europäischen Lyrikerin. Die Malerin erarbeitet fünfzehn Bilder, jedes eine intensive und ausdrucksstarke Interpretation eines der Sonettenreime, die sie in der Galerie in eine schwebende, erlebbare Bilderwelt wandelt.
Inger Christensen
* 16. Januar 1935 in Vejle, Dänemark
† 2. Januar 2009 in Kopenhagen
Sie war eine dänische Schriftstellerin und zählte zu den bedeutendsten europäischen Lyrikerinnen ihrer Generation und galt jahrzehntelang als Kandidatin für den Nobelpreis.
➽ Katalog Das Schmetterlingstal – ein Requiem | Gabriele Goehlen, © Heike Krüger
Gabriele Goehlen interpretiert das Werk der bedeutenden dänischen Lyrikerin Inger Christensen
Wie der Schmetterling in seinem doch so kurzem Leben verschiedene Entwicklungsstadien durchläuft, so verwandelt auch die Künstlerin von Bildstrophe zu Bildstrophe die Sprache dieser dem Zeitgeist so intensiv verbundenen Dänin in eine ausdrucksstarke visuelle Komposition.
Momente, in der wir die Wirklichkeit befragen
Durch ihre malerische Dichtung aus Form, Farbe und ausgewählten Materialien, sowie auch durch ihre enorm berührende optischen Präsenz, wird etwas von der dünnen Membran der Wirklichkeit in eine Sichtbarkeit gebracht. Eine Wirklichkeit, die ein Erinnerungsträger ist, eine „Mémoire involontäre“, also eine unwillkürliche Erinnerung an z. B. unbeschwerte glückliche Stunden, an die Sommer der Kindheit, die erste Liebe, die Lust, aber auch eine Wirklichkeit, in der plötzlich schmerzhafte, ja sogar traumatische Erlebnisse wieder zum Vorschein kommen können.
Ahnungen, Gerüche, Geschmack, Klänge – Realität und Imagination, Fakt und Fiktion – alles dies schafft die Künstlerin für uns erlebbar zu machen.
Gabriele Goehlen übersetzt den Sonettenkranz von Inger Christensen
Wie in den fünfzehn Sonetten der großen zeitgenössischen Dichterin stellt uns Gabriele Goehlen die Frage, wie verändert sich erlebtes Glück, erfahrener Schmerz? Und wie in Christensens Schmetterlingstal die Natur zwar beschrieben wird, es sich aber letztlich nicht direkt um sie, sondern nur um ihre Bedeutung für das reflektierende Ich handelt, so sucht die Malerin nicht nach unmittelbarer Sinnhaftigkeit oder Wirkung, sondern nach dem, was der Betrachter ihrer flügelleichten Zartgespinnste widerspiegelt.
Vernissage
Am Abend der Ausstellungseröffnung, Donnerstag 13. September 2012, 19.00 Uhr, liest für Sie dieses literarische Werk Crystal Drieschner, Artem audere, Koblenz.
Die Lesung des Sonettenkranzes klingt hinein in die schwebende Installation von Gabriele Goehlen und führt Sie vor ein Portal, das Ihnen einen Eintritt verspricht in die doch fernen und unbekannten Welten der Schmetterlinge und den Themen: Vergehen und Werden, Tod und Auferstehung – WANDLUNG.
Weitere Lesungen mit der Sprachgestalterin Marlies Pinnow:
Am 30.9. um 17.00 Uhr und am 8. und 22.10. jeweils um 19.00 Uhr.
Wandelt man im warmen Sonnenlicht durch ihren Bilderkranz, befindet man sich wie in Christensens Brajčinotal an einem realen Ort. Doch der ,Farbenstaub’ – aufgetragen von ihrer spendenden Künstlerhand – ist mehr als nur gemalte ,Lichtpartikel’. Ihr Farbenkreis wird zu einem Reflexionsraum, in dem die schwebenden Transparenzen etwas von der dünnen Membran der Wirklichkeit in eine Sichtbarkeit bringen. Eine Wirklichkeit, die ein Erinnerungsträger ist, eine „Mémoire involontaire“, also eine unwill kürliche, spontane und individuelle Erinnerung an z. B. unbeschwerte glückliche Stunden, an die Sommer der Kindheit, an die Liebe, an Erfüllung und Geborgenheit. Aber auch eine Wirklichkeit, in der plötzlich schmerzhafte, ja sogar traumatische Erlebnisse wieder zum Vorschein kommen können.
Christensens Sinnbilder für den ewigen Sommer sind die Schmetterlinge, die Seelen, aber auch die Metapher einer unausweichlichen Erkenntnis über unsere Endlichkeit, die uns im Flügelschlag von allen Schmetterlingen mit den Augen des Todes blickt. Liegt in der Möglichkeit des sich Erinnerns eine Chance zur Überwindung des unausweichlichen Übels Tod, oder ist etwas dauerhaft abgeschlossen, sobald es vergangen ist?
In der Dichtung der Lyrikerin bleibt diese Frage unbeantwortet, auch die vielschichtigen und feingeweblichen Übersetzungen der Malerin bewahren das Geheimnis.
Aus andren Welten erscheinen schwebend Ereignisse
In einem Nichts versinkend – als existiere gar nichts mehr im Hier
Wer nichts versteht, erfährt viel mehr über Geheimnisse
Den Farbenkranz aus Hoffnung gab sie mir.
aus dem Gedicht ,Für Gabriele‘ von Dipl.-Komm.-Des. Heike Krüger, Galerie Krüger, Koblenz
Schloss Sayn | Das Schmetterlingstal
Matinèe-Veranstaltung
Lesung von Claudia Brinker, staatlich geprüfte Sprecherzieherin und Sprecherin / Rezitatorin
06. September 2012
Soiree-Veranstaltung
07. September 2012
Schloss Sayn | Schlossstraße 100 | 56170 Bendorf
Bilder wie Schmetterlingsflügel
Dr. Lieselotte Sauer-Kaulbach, Kulturjournalistin
Sie steigen auf, die Schmetterlinge des Planeten,
in der mittagsheißen Luft des Brajčinotals,
aus der unterirdisch bitteren Höhle herauf,
die das Berggebüsch mit seinem Duft verdeckt.
Als Bläuling, Admiral und Trauermantel,
als Pfauenauge flattern sie umher
und gaukeln dem Toren des Universums ein Leben vor,
das nicht wie nichts stirbt.
Wer ist es, der diese Begegnung verzaubert
mit Anflügen von Seelenfrieden und süßen Lügen
und Sommergesichten verschwundener Toter?
Mein Ohr antwortet mit seinem tauben Klingen:
Es ist der Tod, der dich mit eigenen Augen
vom Schmetterlingsflügel aus anblickt.
Das „Schmetterlingstal“ ist das letzte, 1991 erschienene, große Werk der dänischen Schriftstellerin
Inger Christensen, in der Form eines klassischen Sonettenkranzes fünfzehn Gedichte umfassendes Werk, versehen mit dem Untertitel „Ein Requiem“. Das eingangs zitierte Gedicht ist das fünfzehnte, dasjenige, was der Tradition nach als „Meistersonett“ bezeichnet wird, bestehend aus den Anfangszeilen der vorhergehenden 14 Sonette und so etwas wie die Summa des zuvor Gesagten. Vielleicht war es eine Art von Vorahnung, die sich gerade in diesen Zeilen der am 2. Januar 2009, kurz vor ihrem 74. Geburtstag, verstorbenen, mehrfach für den Literaturnobelpreis gehandelten Christensen offenbarte.
Inger Christensen erhält den Unseld-Preis
Durs Grünbein, der für Inger Christensen die Laudatio hielt, als ihr 2006 in Frankfurt der Siegfried Unseld-Preis verliehen wurde (zuvor hatte ihn nur Peter Handke erhalten), nannte das „Schmetterlingstal“ „ein Kunstwerk an der Grenze zur Vollkommenheit“, unabschließbar im Inneren bei äußerlich abgeschlossener Form. Denn die Schmetterlinge sind nicht nur Inbegriff von Leichtigkeit, Flatterhaftigkeit, Schönheit, sondern von Zerbrechlichkeit, Vergänglichkeit. Das spiegelt sich auch in ihrer faszinierenden Entwicklung, der Metamorphose von der scheinbar hässlichen Raupe über die schützende Puppe zum ätherischen Falter. Im antiken Griechenland wurden die Schmetterlinge als Psyche, als Seele bezeichnet, galten als Inkarnation der Seelen der Toten, und auch dasWort für Puppe bedeutet im Griechischen so etwas wie „Hülle des Todes“, aus der immerhin neues Leben schlüpft. Im Christentum ist der Falter entsprechend das Symbol der Auferstehung.
Heinrich Böll fasste all diese Bedeutungen der Schmetterlinge in wenigen Zeilen sehr prägnant zusammen: „Wenn die Raupen wüssten, was einmal sein wird wenn sie erst Schmetterlinge sind, sie würden ganz anders leben: froher, zuversichtlicher und hoffnungsvoller. Der Tod ist nicht das Letzte. Der Schmetterling ist das Symbol der Verwandlung, Sinnbild der Auferstehung. Das Leben endet nicht, es wird verändert. Der Schmetterling erinnert uns daran, dass wir auf dieser Welt nicht ganz zu Hause sind.
Farbpigmente statt Worte
Genau diese Doppeldeutigkeit, dieses Schweben zwischen Leben und Tod, zwischen Schönheit und Vergänglichkeit faszinierte auch Gabriele Goehlen an der Schmetterlings-Thematik, an dem Sonettenkranz Inger Christensens. An den Gedichten einer Künstlerin, die ihr in einigem sehr ähnlich ist. Menschlich, in ihrer Zurückhaltung, ihrer Scheu, vor allem aber auch künstlerisch. Der Sprachtüftlerin entspricht eine bildende Künstlerin, deren Arbeiten nicht weniger langwierig ertüftelt sind, hart erkämpft, errungen, gar erlitten. Ihr Material sind nicht die Worte, sondern die Farben, genauer: natürliche, mineralische oder pflanzliche Pigmente, aufgetragen auf Leinwand oder handgeschöpftes Seidelbastpapier, besser bekannt als Nepal- oder Loktapapier.
Bilder wie Membrane
Bilder wie ein Hauch aus Farben sind es, die bei aller Transparenz dennoch wenig auf den ersten Blick offenbaren, Bilder, gewebt aus solch zarten Schichten, dass sich der Betrachtende nur langsam mit den Augen den Weg in ihr Inneres, ihr Herz frei räumen kann und muss. Wer dachte, es würde in diesen Arbeiten von Schmetterlingen nur so wimmeln, sieht sich getäuscht, flüchtig wie die Tiere selber sind die Momente, in denen sie auftauchen, dann auch meist nur fragmentarisch, angedeutet. Kaum hat man die Kontur eines Flügels, eines Körpers entdeckt, entzieht sich alles schon wieder dem Blick, entschwebt in einen Farbäther, der alles miteinander verbindet, der alles miteinander verschmelzen und zu einem großen Ganzen werden lässt.
Aber was könnte adäquater sein den Zeilen aus der Feder Inger Christensens? Zeilen, die sich doch ihrerseits jeder raschen, oberflächlichen Interpretation verschließen, in denen sich viele Schichten überlagern und verquicken, Realität und Imagination, Fakt und Fiktion, Wachen und Traum, Historisches und Märchen haftes. Zeilen, in denen rauschhafte Schönheit und tiefste Trauer keine unüberwindlichen Gegensätze, sondern nur zwei Seiten einer Medaille sind.
Und diese Medaille steht für nicht mehr und nicht weniger als die gesamte menschliche Existenz schlechthin.
Gabriele Goehlen – Bilder im freien Flug der Phantasie
Auch in den Bildern Gabriele Goehlens bleibt uns das schwindeln machende Wechselbad der Gefühle nicht erspart, das Schwanken zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Die Farbe ist ein wesentlicher Faktor in diesem Wechselbad, der stete Wandel zwischen duftigem Himmelblau und rauchigem Ascheschwarz, zwischen lichtem Gelb und dunklem, erdigem Braun. Reißen uns einzelne Bilder regelrecht mit sich nach oben, wie der Flug eines Schmetterlings, dem wir mit den Augen folgen, ziehen uns andere wieder unerbittlich auf den Boden der Tatsachen, in die ganze irdische Schwere zurück – und die bietet nun mal nur begrenzt Raum für Träumereien, für den freien Flug der Phantasie.
Gabriele Goehlen weiß um diese Beschränkung – und ist eine derjenigen, die darunter leiden. Eine derjenigen, die es sich und anderen im Leben meist nicht gerade leicht machen. Auch da drängen sich Parallelen zu Inger Christensen und zu ihrer Lyrik unweigerlich auf. Deshalb sind die Bilder, selbst wenn die Künstlerin einzelne Arbeiten bestimmten Gedichten zuordnet, auch keine Illustration, keine Eins-zu-Eins-Übersetzung der Sonette des „Schmetterlingstals“ (wie sollte das auch funktionieren?), sondern eher sympathetische Nachschöpfungen mit außersprachlichen Mitteln, mit denen der Malerei. Bilder wie Schmetterlingsflügel, die zerbrechen, wenn man ihnen zu nahe kommt oder sie einseitig mit dem Skalpell des Verstands zu sezieren sucht. Bilder, die ihrerseits den Blick des mitfühlenden und -leidenden Betrachters brauchen